Natur und Regionen 27.01.2012

Hoch oben, aber mittendrin

Warum wir in 2.000 Meter Seehöhe eine 800-Tonnen-Maschine zusammengebaut haben, die sich nun kilometerweit in den Berg bohrt.

Wer gleichermaßen zu Höhenangst wie Klaustrophobie neigt, der kommentiert einen Besuch auf unserer neuesten Kraftwerksbaustelle mitunter mit einem anerkennenden Seufzer: "Ihr seid ja vollkommen verrückt." Tatsächlich freilich sind es grundvernünftige energiewirtschaftliche Planungen, die uns zum Bau des Pumpspeicherkraftwerks Reißeck II weit oben und gleichzeitig tief in den Kärntner Tauern bewogen haben.

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Kärntens größte Kraftwerksbaustelle befindet sich hoch über dem Mölltal im Mühldorfer Graben. Herzstück der Anlage wird die unterirdische Kraftstation - eine Felskaverne mit enormen Abmessungen, die im Laufe des vergangenen Jahres mit hunderten Sprengungen aus dem Berg gebrochen wurde.

Netz-Ausgleich durch das Pumpspeicherkraftwerk
In dieser Kaverne werden zwei Pumpturbinen mit Generatoren montiert. Im späteren Kraftwerksbetrieb ab dem Jahr 2014 wird hier mitten im Berg immer dann Spitzenstrom aus Wasserkraft erzeugt, wenn besonders viel Strom im Netz benötigt wird. Wie bei einem gewöhnlichen Speicherkraftwerk wird dafür aufgestautes Wasser über einen unterirdischen Stollen (Triebwasserweg) auf die Turbinen geleitet. Pumpspeicherkraftwerke wie Reißeck II können aber noch mehr: Wann immer viel Strom im (europäischen) Netz ist, etwa aus den großen Windparks oder Solarkraftwerken, gleichzeitig der Strombedarf aber fehlt (nachts, an Wochenenden), dann wird Reißeck II diesen vorhandenen Strom nutzen, um das Wasser aus einem Unterbecken zurück in das Oberbecken zu pumpen. Erneuerbare Energie kann somit gespeichert werden. Pumpspeicherkraftwerke wie Reißeck II sind die "grünen Batterien" in den Alpen.

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Weil VERBUND mit den Kraftwerksgruppen Malta und Reißeck/Kreuzeck bereits seit Jahrzehnten große Speichersysteme in Kärnten betreibt, müssen für das Pumpspeicherkraftwerk Reißeck II keine neuen Becken oder Staumauern errichtet werden. Was noch fehlt, ist einzig der Triebwasserweg vom Großen Mühldorfer See auf 2.300 Meter Seehöhe hinunter in die neue Kraftkaverne, die einige Kilometer entfernt auf 1.600 Meter liegt. Und genau dafür brauchen wir den großen schweren Wurm.

Der Wurm im Berg
Es ist eine schmale und mit hellgrauem Granit geschotterte einfache Baustraße, die sich über einige enge Kehren hinauf schlängelt und ganz oben im dichten Nebel oder in der tiefen Wolkendecke verschwindet. Über Wochen hinweg wurden auf dieser Straße bei jeder Witterung unzählige seltsam geformte stählerne Bauteile, jedes mehrere Tonnen schwer, hinauftransportiert. Manches sah aus wie ein Schienenstrang. Zurück kamen die Spezial-LKW stets leer.

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Auf mehr als 2.000 Meter Seehöhe machten sich derweil die im Bergbau erprobten Spezialisten daran, den stählernen Riesenwurm zusammenzubauen. 220 Meter lang ist die Tunnelbohrmaschine, mehr als 800 Tonnen schwer. Ganz vorne presst sich der rotierende Fräskopf mit seinen 56 Werkzeugen mit einem Druck von 250 Tonnen in den harten Granit-Gneis. Mit jedem Meter Vortrieb wächst auch der Schienenstrang, über den das Gestein durch den Stollen hinaus ans Tageslicht befördert wird. Mit einem eigenen Kabinenzug fahren die Arbeiter oder eben auch angstfreie Besucher in den Stollen ein. Ganz anders als die 43 Meter hohe Felskaverne im Berg unter uns hat hier oben der Stollen einen Durchmesser von lediglich sieben Meter. Im Kabinenzug gibt es keine Beleuchtung, wer seine Grubenlampe vergessen hat, sitzt im Finsteren auf einer harten Schaumstoffunterlage.

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Meter für Meter ...
... geht es rumpelnd hinein in den Berg. Erst als sich der enge Kabinenzug nach Minuten in der Dunkelheit der scheinwerferbefluteten Tunnelbohrmaschine nähert, schimmert das Gestein der Stollenwand herein. Wie poliert wirkt das kompakte Gestein. In diesem Abschnitt ist kein Spritzbeton zur Auskleidung des Stollens notwendig: „Wir sind hier genau 630 Meter im Berg, extrem harter und kompakter Granit-Gneis.“

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Kurz und laut erklärt VERBUND-Projektleiter Manfred Freitag die Anlage, die unter den vielen Motoren und den Förderbändern vibriert und lärmt. Bis zum Sommer wird sich die Riesenmaschine knapp drei Kilometer weit bis unter den Mühldorfer See gebohrt haben.

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Betrieben wird der Wurm übrigens elektrisch. Anschlussleistung: satte 4 Megawatt, Baustrom superstark. Aber nichts im Vergleich zu den beiden Maschinensätzen, die ab 2014 im neuen Pumpspeicherkraftwerk Reißeck II ihren Dienst verrichten werden. Mit einer Pumpleistung von 430 Megawatt wird Reißeck II die Stromerzeugung von mehr als 200 Windkraftanlagen speicherbar machen. Und mit dem Spitzenstrom aus der „grünen Batterie“ lassen sich locker 215.000 Haushalte gleichzeitig mit ausreichend Strom versorgen.