Smart Living und Innovationen 18.09.2013

Harald Heinrichs zum Thema Teilen als Geschäftsmodell

Teilen als Geschäftsmodell - VERBUND

flow_ Ihre Untersuchung „Auf dem Weg in eine neue Konsumkultur“ gilt als grundlegende Arbeit zum Thema „Sharing Economy“. Viele sehen darin bereits einen Megatrend, der ein Grundprinzip unseres Wirtschaftens – das Recht auf Besitz – in Frage stellen könnte. Andererseits: Bevor etwas geteilt werden kann, muss es jemand besitzen. Wie beurteilen Sie dieses Spannungsverhältnis?

Harald Heinrichs_Zum einen bin ich der Überzeugung, dass „Shareconomy“ nicht zu einer völligen Auflösung der Eigentums-Wirtschaft führen wird. Ich glaube aber schon, dass sich die Sharing Economy komplementär dazu weiter entwickeln kann. Und zwar dort, wo sie für die Leute pragmatisch ist, wo Teilen Ressourcen-Vorteile und Nachhaltigkeits-Potenziale entfalten kann. Es wird in den nächsten 10 bis 20 Jahren sicher keinen völligen Übergang zu einer Nicht-Eigentumsökonomie geben. Aber die Ökonomie des Teilens ist stark im Kommen.

flow_Abgesehen von den technologischen Möglichkeiten – welche Aspekte der Sharing Economy gehen über bereits bestehende Formen des Teilens hinaus? Wird hier nicht aus der Not durch die Wirtschaftskrise eine Tugend gemacht, gemischt mit einem Schuss populärer Kapitalismus-Kritik?

Heinrichs_Wir sehen 4 Linien, die in den letzten Jahren zusammengekommen sind. Erstens: Die technologische Entwicklung. Zweitens: Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, durch die eine kapitalismus-kritische Debatte aufgekommen ist. Darin geht es ja ganz stark um Fragen wie: Was ist Lebensqualität? Wie vertragen sich Konsum und Nachhaltigkeit? Deswegen beobachten wir drittens schon seit vielen Jahren einen Wertewandel. Der zeigt sich in einen steigenden Anteil der Bevölkerung, der neben Konsum auch großen Wert auf gute Sozialbeziehungen oder Umweltqualität legt.

flow_Und viertens?

Heinrichs_Der letzte Punkt ist eigentlich die fundamentalste und gleichzeitig auch die unbekannteste Triebfeder der Sharing Economy. Es geht um die Frage, ob das Menschenbild des „Homo Oeconomicus“, der nur auf Nutzen orientiert ist, noch gilt. Oder gibt es, wie viele Hinweise aus Soziologie, Psychologie oder Anthropologie nahelegen, auch die andere Seite des Menschen – den „Homo Reciprocans“, den „Homo Collaborans“ oder den „Homo Emphaticus“ mit einer stärkeren Sozialorientierung? Damit verbunden ist das Thema Glücksforschung. Was braucht man zum Glücklichsein? Nicht jedes Bedürfnis wird durch materiellen Besitz gedeckt.

flow_Wodurch Altruismus zum Geschäftsmodell wird?

Heinrichs_Genau. Diese 4 Entwicklungslinien haben sich vermischt und es sind daraus eben sehr konkrete Sharing-Economy-Angebote entstanden. Tausende Menschen können jetzt bei „Airbnb“ ihre Wohnungen vergeben oder sich woanders einmieten. Dank Carsharing stehen jetzt in den Städten an allen Ecken und Kanten Mietautos herum. Wir befinden uns gerade in einer Experimentierphase, wo viele Geschäftsideen in signifikanter Menge auf den Markt kommen, typisch für einen neuen Wirtschaftszyklus. Sharing Economy kann nicht mehr bloß als Randphänomen abgetan werden.

flow_Eines dieser Sharing-Economy-Geschäftsmodelle ist das sogenannte Crowdfunding, das in Österreich gerade stark diskutiert wird. Die hiesige Finanzmarktaufsicht meint, dass diese alternative Form der geteilten Unternehmens-Finanzierung dem geltendem Bankwesengesetz widerspricht und für Missbrauch anfällig ist.

Heinrichs_Crowdfunding ist eine Erfolgsgeschichte. Dass die etablierte Finanzwirtschaft darauf reagiert und ihre Lobby-Maschinerie in Gang bringt, wundert mich nicht. Ich finde das sogar positiv, weil man erkennt, dass die Ansätze der Sharing Economy das Nischendasein verlassen haben. Wahrscheinlich fühlen sich etablierte Branchen dadurch zu Recht bedroht, weil sie durch diese neuen Ideen die vom österreichischen Ökonomen Josef Schumpeter beschriebene Kraft der kreativen Zerstörung zu spüren bekommen.

flow_Denken Sie, dass die Sharing Economy das Potenzial hat, die Art der Güter-Produktion zu verändern?

Heinrichs_Es gibt empirische Untersuchungen, wonach ein Carsharing-Auto 8 private Pkw ersetzt. In Deutschland gibt es 40 Millionen Pkw. Theoretisch bräuchte man also nur noch 5 Millionen Autos, um individuelle Mobilität zu gewährleisten. Dann würde es bei der Produktion und beim Verkauf von Autos dramatische Reduktionspotenziale geben. Die wirklich spannende Seite der Sharing Economy liegt dort, wo es durch eine neue Form des Teilens von Ideen und Fertigkeiten auch zu neuen, konkreten und professionellen Produktentwicklungen kommt.

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